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2. Ebenen des Leseverständnisses

Intuitiven Alltagsvorstellungen entsprechend ist das Lesen eine eher passive Rezeption von im Text enthaltenen Informationen und Bedeutungsinhalten (Christmann & Groeben, 1999). Gemäß dieser Ansicht, die auch frühen Kommunikationsmodellen aus der Hochzeit des Behaviorismus zugrunde liegt, werden Informationen vom Schreiber zunächst enkodiert und anschließend vom Leser wieder dekodiert. Dekodierung und Enkodierung sind dieser Vorstellung entsprechend weitgehend spiegelbildliche Prozesse (siehe Abb. 1).



Abbildung 1
Das allgemeine Schema der Informationsübertragung von Shannon und Weaver (1949, aus: Hoffmann, 1993, S. 16)


Dem gegenüber betont die kognitive Psychologie und die experimentellen Leseforschung, dass Lesen (bzw. Sprachrezeption im Allgemeinen) ein hochgradig aktiver Prozess der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Inhalten ist (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1995, S. 133; Artelt, Stanat, Schneider & Schiefele, 2001). Die kognitive Konstruktivität des Sprachverständnisses und die Interaktion zwischen (Text-)Informationen und Weltwissen des Rezipienten wird besonders an missverständlichen Botschaften deutlich, wie z.B. den folgenden:

  1. "CDU-Frauen fordern mehr Gewicht"
  2. "Dachdecker und Helfer ab sofort gesucht. Aufstiegsmöglichkeiten vorhanden."
  3. "Mein Hosenladen ist immer offen. Natürlich nur in der Zeit von 8 bis 18 Uhr."

  4. (Pinker, 1996, 92)

  5. "Wer seinen Hund noch einmal an meinen Zaun pinkeln lässt, der wird erschossen, der Hund!"
    (von einem Bekannten gesehen in Homburg a.d. Saar)

Der Prozess der Rekonstruktion von Bedeutungsinhalten besteht gerade nicht nur darin, sprachlich vermittelte Informationen einzelner Wörter mit den umgebenden Informationen - den anderen Wörtern, Satzteilen, und Sätzen - in Verbindung zu setzten, sondern sie auf der Basis des individuellen Vorwissens zu interpretieren (Christmann & Groeben, 1999). Im Folgenden werden die für das Verstehen eines Textes erforderlichen Verarbeitungsschritte beleuchtet, wobei zwischen verschiedenen Komplexitätsniveaus unterschieden wird: dem Wortverständnis, Satzverständnis und Textverständnis.

Beim Lesen stehen zunächst Faktoren im Mittelpunkt, die das Leseverstehen auf Wortebene beeinflussen. Zu diesen gehören der Wortschatz des Kindes, die Fähigkeit zur Dekodierung einzelner Wörter, die Erfassung der Wortbedeutung sowie das Wissen, wie diese Bedeutung durch den jeweiligen Kontext modifiziert wird (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1995, S. 133). Gelingt dem Kind die Interpretation der Wortbedeutungen auf der Basis des Kontextes, so hat es bereits die Vernetzung zur Satzebene hergestellt. Nun muss auch die grammatikalische Struktur berücksichtigt werden. Um schließlich einen ganzen Text zu verstehen ist es vonnöten, die Informationen verschiedener Sätze mit einander in Beziehung zu setzen. Auf dieser Ebene gewinnen schließlich metakognitive Fähigkeiten wie das schemageleitete Textverstehen zunehmend an Wichtigkeit.